Zum Hauptinhalt springen

Wohnungspolitik – (k)ein Thema für die EU?

Die bevorstehenden Europawahlen sind ein willkommener Anlass, um sich der Frage zu widmen, welche Rolle die EU in der Wohnungspolitik und der Wohnungswirtschaft spielt. Darf die europäische Union in diesen Bereichen überhaupt mitreden und was kann diesbezüglich auf europäischer Ebene gestaltet werden?


Keine unmittelbare Kompetenz für Wohnungspolitik, aber viele Themen, die Einfluss auf das Wohnungswesen haben 
Ein Blick auf die Verträge der Europäischen Union (EUV und AEUV) zeigt zunächst, dass das „Wohnungswesen“ nicht zu den Kompetenzen der Europäischen Union zählt, weder zu den ausschließlichen (Art. 3 AEUV, z.B. Zollunion), noch zu den mit den Mitgliedstaaten geteilten (Art. 4, z.B. Verbraucherschutz) Zuständigkeiten. Es gibt daher weder einen europäischen Kommissar noch eine Generaldirektion für das (soziale) Wohnungswesen. Auch eine europäische Wohnbauförderung oder Wohnbeihilfe, ein europäisches Miet- oder Baurecht wird man vergeblich suchen. Nach dem Subsidiaritätsprinzip der EU verbleibt die Regulierung und Förderung des Wohnungswesens grundsätzlich auf nationalstaatlicher Ebene. 


Tatsächlich gibt es jedoch zahlreiche Überschneidungsbereiche von EU-Recht mit dem Wohnungswesen. Zahlreiche Materien, die auf EU-Ebene entschieden werden, nehmen direkten oder indirekten Einfluss auf die Wohnungswirtschaft eines Landes. Um nur die wichtigsten zu nennen: 


Der Europäische Grüne Deal
Mit dem „grünen Deal“ hat sich die EU das Ziel auferlegt, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden: Keine Netto-Treibhausgase mehr auszustoßen, das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln und dabei „niemanden zurückzulassen“. Mithilfe zahlreicher Gesetzespakete wird versucht, diese Ziele für die unterschiedlichen Sektoren zu konkretisieren und einen Fahrplan bis 2050 mit mehreren Zwischenzielen aufzustellen. 


Für den Gebäudebereich ist in erster Linie ist die EU-Gebäuderichtlinie (Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, EPBD) zu nennen, welche in der jüngsten Novellierung am 12. März 2024 vom europäischen Parlament beschlossen wurde. Diese sieht einen umfassenden Umbau des gesamten europäischen Gebäudebestands zum Null-Emissionsstandard bis 2050 vor; für Neubauten gilt dieser Standard bereits ab 2030. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte ist hier nachzulesen. Nach Inkrafttreten der Richtlinie hat Österreich wie jedes andere Mitgliedsland 2 Jahre Zeit, um sie in nationales Recht (insbesondere OIB-Richtlinie 6 und die Bauordnungen der Bundesländer) umzusetzen. Da die EPBD den Mitgliedsstaaten zwar klare Ziele vorgibt, ihnen aber viel Gestaltungsspielraum bezüglich der Wege der Zielerreichung überlässt, dürfte die nationale Umsetzung noch ein anspruchsvoller Prozess werden. 


Ein weiterer (auch) für den Gebäudebereich wesentlicher Rechtsrahmen ist die EU-Taxonomieverordnung. Inhalt dieser Verordnung bzw. der ergänzenden technischen Bewertungskriterien ist eine Klassifizierung, welche Investitionen von Unternehmen zukünftig als nachhaltig einzustufen sind. Zwar wird kein Unternehmen verpflichtet, solche nachhaltigen Investitionen umzusetzen; es besteht lediglich (für bestimmte, große Unternehmen) die Pflicht zur Berichterstattung über die so genannte Taxonomie-Konformität ihrer Aktivitäten. Auch wenn die allermeisten Bauträger aktuell noch nicht zum Kreis der Verpflichteten zählen: Ihre Kreditgeber, die Banken, zählen dazu. Und diese werden zunehmend ihre Kreditvergaben an Taxonomiekriterien knüpfen bzw. Kredite an graue, d.h. nicht taxonomiekonforme Investments mit Aufschlagpunkten bei der Kreditvergabe „bestrafen“. Wie sich die gemeinnützige Wohnungswirtschaft auf die Anforderungen bestmöglich vorbereiten und diese sogar als Chance wahrnehmen könnte, ist hier nachzulesen.   


Weitere Richtlinien, die zum „Fit-for-55-Paket“ zählen und für die Wohnungswirtschaft von Bedeutung sind, sind z.B. die Energieeffizienzrichtlinie (EED), die Erneuerbaren Energie Richtlinie (RED) sowie das Emissionshandelssystem, welches zukünftig (ab 2027) auch auf den Gebäudesektor ausgeweitet werden soll. 


Wettbewerbsrecht, Beihilfen und Finanzierungsinstrumente
Im wirtschaftlichen Bereich ist insbesondere das europäische Wettbewerbs- und Beihilfenrecht zu nennen. Die Minimierung von staatlichen Förderungen, die als potenziell wettbewerbsverzerrend angesehen werden, ist ein wesentliches Anliegen der EU. Beihilfen sind grundsätzlich verboten, es existieren jedoch Ausnahmen. Diese können sektoral (z.B. Umweltförderungen), regional (im Rahmen der EU-Kohäsionspolitik) oder formal begründet sein (z.B. Förderungen unter der Bagatellgrenze, „De-minimis-Grenze“). Erleichterte Bestimmungen gelten weiters „für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind“ (Art. 106 AEUV), da hier eine öffentliche Kompensationsleistung für ein Versagen des Markts anerkannt wird. Unter diesem Aspekt sind die österreichische Wohnbauförderung und die KÖSt-Befreiung der gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen zu sehen. 


Auf europäischer Ebene wurden außerdem eigene Förderungs- und Finanzierungsinstrumente eingerichtet, die die vorrangige Aufgabe haben, die Transformation der EU zur Klimaneutralität bis 2050 zu beschleunigen. Für die (gemeinnützige) Wohnungswirtschaft von Relevanz sind u.a.: ELENA, ein Förderprogramm der EIB zur Finanzierung von Vorbereitungsarbeiten für energierelevante Investitionen, das Investitionsförderprogramm INVEST-EU, der RRF (Recovery and resilience facility) zur Abfederung der Folgen der COVID-19-Pandemie sowie große Forschungs- und Innovationsprogramme wie HORIZON 2020. Beispiele von innovativen GBV-Projekten, die durch HORIZON 2020-Programme kofinanziert wurden, sind in diesem Artikel dokumentiert.


Housing Europe – die Interessensvertretung der öffentlichen, genossenschaftlichen und sozialen Wohnungswirtschaft in Europa
Housing Europe, der Europäische Dachverband der öffentlichen, genossenschaftlichen und sozialen Wohnbauträger, nimmt die Interessensvertretung der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft auf europäischer Ebene wahr. Der GBV ist Mitglied bei Housing Europe und vertritt dort die Anliegen der österreichischen Mitgliedsunternehmen. Housing Europe vernetzt nicht nur die Mitgliedsverbände untereinander, sondern bringt auch deren Anliegen in den EU-Institutionen zu Gehör. 


Mit wissenschaftlicher Grundlagenarbeit und zahlreichen Initiativen zeigt Housing Europe die unersetzliche Bedeutung einer guten und nachhaltig leistbaren Wohnversorgung in Europa auf und betont die wesentliche Rolle der nicht gewinnorientierten Wohnungswirtschaft für den sozialen Zusammenhalt, die ökologische Transformation und die wirtschaftliche Stabilität in Europa. 


Eine aktuelle Initiative von Housing Europe anlässlich der EU-Wahl ist das „Europäische Manifest“, in dem EU-PolitikerInnen drei Schritte vorgeschlagen werden, um aus der Wohnungskrise in Europa herauszuführen: (1) Ein neues Wohn-Paradigma in der Politik, das die Rolle von Nonprofit Wohnungsunternehmen als Rückgrat der Wohnversorgung in Europa anerkennt, (2) eine faire Energie-Transformation, die neben der Sanierung auch den bedarfsorientierten, leistbaren Neubau und die Bedeutung lokaler und nachbarschaftsbezogener Ressourcen für die Dekarbonisierung anerkennt sowie (3) Exklusion und Wohnungslosigkeit an der Wurzel zu bekämpfen.


www.housingeurope.eu 


Autorin: Gerlinde Gutheil-Knopp-Kirchwald, wohnwirtschaftliches Referat des GBV