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WEG-Novelle 2022 und die Mindestrücklage

In Wohnungseigentumsanlagen sind nach § 31 Abs 1 WEG 2002 zwingend Rücklagen zu bilden, um so zu gewährleisten, dass immer ausreichende Mittel vorhanden sind, um nicht nur die alltäglichen Auslagen, sondern auch die zeitlich nicht vorhersehbaren größeren Liegenschaftsaufwendungen bestreiten zu können1. Doch die Realität sah oft anders aus2

Dadurch wurden zwar die laufenden Kosten niedrig gehalten, im Fall einer größeren Sanierung bedeutete dies aber, dass entweder ein Kredit aufgenommen werden musste oder von jedem einzelnen Wohnungseigentümer ein sehr hoher Einmalbetrag aufgebracht werden musste und dadurch die Wohnungseigentümer finanziell oftmals überfordert wurden. 

Deshalb war es dem Gesetzgeber ein besonderes Anliegen, im Rahmen der WEG-Novelle 2022 auch ein gesetzliches Mindestmaß für die monatliche Dotierung der Rücklage festzulegen, und zwar in Höhe von derzeit 0,90 Euro (wertgesichert) pro Quadratmeter der Nutzfläche, um so ein vorausschauendes Ansparen für die zukünftige – insbesondere auch die gesellschafts- und klimapolitisch gewünschte – Erhaltung und Verbesserung der Baulichkeiten sicherstellen zu können.

Berechnung der monatlichen liegenschaftsbezogenen Mindestrücklage und deren Aufteilung

Die Berechnung erfolgt wie folgt: Nutzfläche sämtlicher Wohnungseigentumsobjekte auf der Liegenschaft – maßgeblich ist die Nutzfläche nach § 2 Abs 7 WEG 2002 –   x Höhe der gesetzlichen Mindestrücklage (momentan Euro 0,90) = Gesamtbetrag für die gesamte Liegenschaft. Dieser Betrag wird nach den Regeln des WEG (§ 32 WEG 2002) auf die einzelnen Wohnungseigentümer aufgeteilt.

Valorisierung

Die Höhe der Mindestdotierung unterliegt einer gesetzlichen Valorisierung. Die Wirtschaftskammer Österreich hat zukünftig den neuen valorisierten Betrag bis spätestens Ende November des Vorjahrs auf der Homepage des Fachverbandes der Immobilien- und Vermögenstreuhänder zu veröffentlichen. Die erste wertsicherungsbedingte Anpassung wird am 1. Jänner 2024 stattfinden.

Überschreiten der Mindestdotierung

Die Mindestrücklage stellt schon nach ihrer Begriffsdefinition eine Mindestgröße dar. In vielen Fällen kann und wird es aber notwendig sein, höhere – auch erheblich höhere – Rücklagenbeiträge vorzuschreiben. In den Gesetzesmaterialien wird beispielhaft darauf hingewiesen, dass dies etwa dann der Fall sein wird, wenn für den Verwalter schon erkennbar ist, dass notwendige Erhaltungsarbeiten oder auch Verbesserungen schon absehbar sind und bisher keine relevante Rücklage gebildet wurde oder diese aufgebracht wurde. 

Unterschreiten der Mindestdotierung

Ein Unterschreiten der Mindestdotierung ist nach den Gesetzesmaterialien nur in den im in § 31 Abs 1 WEG 2002 umschriebenen Ausnahmefällen zulässig, wenn auch bei Einhebung eines geringeren Beitrags eine angemessene Rücklage gebildet werden kann. Es handelt sich um folgende Ausnahmefälle:

• Besonderes Ausmaß der bereits vorhandenen Rücklage

Nach den Gesetzesmaterialien ist ein besonderes Ausmaß der bereits vorhandenen Rücklage dann gegeben, wenn die Rücklage ohnehin schon ein außergewöhnlich hohes Guthaben aufweist. Die Frage, ob ein besonderes Ausmaß der bereits vorhandenen Rücklage gegeben ist, ist immer nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls und den im Betrachtungszeitraum von rund 10 Jahren zu erwartenden Aufwendungen für die Erhaltung und Verbesserung des Hauses zu prüfen. 

Illustrativ nennt der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien das Beispiel, dass die Wohnungseigentümer einvernehmlich vereinbart haben, dass der hohe Betrag, der mit dem Verkauf der Hausbesorgerwohnung erzielt werden konnte, in die Rücklage fließt.

• Erst kurz zurückliegende Neuerrichtung oder durchgreifende Sanierung

Die Unterschreitung der Mindestdotierung ist ebenfalls zulässig, wenn die Baulichkeit erst vor Kurzem neu errichtet wurde oder eine durchgreifende Sanierung des Gebäudes erst vor Kurzem stattgefunden hat. Der Gesetzgeber geht bei diesen Fällen davon aus, dass auf etliche Jahre hinaus keine größeren Investitionen in die Liegenschaft anfallen und daher auch eine Unterschreitung der Mindestrücklage zulässig ist. 

Die durchaus praxisrelevante Frage, welcher Zeitraum für die Beurteilung als kurz zurückliegend herangezogen werden kann, blieb allerdings offen. Unseres Erachtens könnte bei einem Zeitraum von bis zu 10 Jahren nach Neuerrichtung und Erstbezug der Baulichkeit bzw nach Vollendung der durchgreifenden Sanierung objektiv gesehen noch die Vermutung des „kurzen Zurückliegens“ gegeben sein.

• Reihen- oder Einzelhausanlage

Sofern die Wohnungseigentümer in einer Reihen- oder Einzelhausanlage im Wohnungseigentum sich bereits im Wohnungseigentumsvertrag einvernehmlich verpflichtet haben, die Kosten für die (gesamte) Erhaltung ihres Reihen- oder Einzelhauses selbst zu tragen, erachtet es der Gesetzgeber als nicht gerechtfertigt, den Wohnungseigentümern zusätzlich noch zwingend eine Mindestdotierung der Rücklage abzuverlangen.

Inkrafttreten

Die Regelung über die Mindestrücklage tritt mit 1. Juli 2022 in Kraft.

 

Autorin: Mag.a Michaela Schinnagl, Verbandsjuristin

5 Ob 171/02m; 5 Ob 49/10g; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht II²³ § 31 WEG Rz 2.

2 So auch schon sehr einprägsam dargestellt von Dirnbacher, Baustelle Wohnrecht – Wünsche, Anregungen und Forderungen an den Gesetzgeber (Wohnrechtsnovelle) wobl 2011, 295.