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Das große GBV-aktuell Doppelinterview mit Wohnbaustadträtin Katrin Gaál und Generaldirektor der SOZIALBAU AG Dr. Josef Ostermayer


GBV-aktuell: Liebe Frau Stadträtin Gaál, lieber Herr Generaldirektor Ostermayer. Das Thema Wohnen beschäftigt in der einen oder anderen Form jeden von uns. Bevor wir zu politischen Sphären kommen: Was assoziieren Sie eigentlich persönlich mit dem Begriff „Wohnen“?

Kathrin Gaál: Wohnen ist ein Grundrecht. Ein Zuhause ist viel mehr als nur ein Ort, ein Zuhause ist ein Gefühl. Und ich möchte, dass sich möglichst alle Wienerinnen und Wiener in ihrem Zuhause gut und sicher fühlen.

Josef Ostermayer: Spontan verbinde ich damit das Bedürfnis nach gutem Wohnen. „Wohnen“ heißt im Englischen „to live“, also „leben“ und ist somit unmittelbar mit der menschlichen Existenz, mit einem elementaren menschlichen Bedürfnis verbunden. Gutes Wohnen ist sicheres, komfortables, gesundes und leistbares Wohnen.


GBV-aktuell: Frau Gaál, Sie sind nun seit Mai 2018 Wohnbaustadträtin. Was sind aus ihrer Sicht die größten Aufgaben Ihres Ressorts?

Kathrin Gaál: Mir ist es besonders wichtig, allen Wienerinnen und Wiener leistbares und lebenswertes Wohnen zu ermöglichen. Wien hat hier Großes geleistet. Rund zwei Drittel aller Haushalte leben heute in geförderten Wohnungen. Ich setze mich mit ganzer Kraft dafür ein, diese Erfolgsgeschichte fortzuschreiben. So sind etwa bis 2020 rund 14.000 weitere geförderte Wohnungen auf dem Weg.

 

GBV-aktuell: Herr Ostermayer, auch für Sie war es nun das erste Jahr als Generaldirektor des größten gemeinnützigen Bauträgers – der SOZIALBAU AG und auch als Obmann der Wiener Gemeinnützigen. Mit allen Eindrücken dieses Jahre, was sind für Sie die größten Herausforderungen, vor denen die SOZIALBAU AG und auch die anderen gemeinnützigen Bauträger stehen?

Josef Ostermayer: Die größte Herausforderung ist zweifelsohne die Verfügbarkeit von Grundstücken für den geförderten Wohnbau. Seit der Finanzkrise sind viele Anlegergelder in Immobilien geflossen, was zu einem starken Preisanstieg am Grundstücksmarkt geführt hat und Bauland zu erschwinglichen Konditionen knapp ist. Zusätzlich hat die gute Wirtschaftslage nachfragebedingt zu einem erheblichen Anstieg der Baupreise geführt. Dem steht eine hohe Wohnungsnachfrage gegenüber. Jährlich kommen an die 20.000 Menschen nach Wien und suchen eine Wohnung. Mit der 2/3-Quote geförderten Wohnbaus bei Neuwidmungen und der Aufhebung der Baukostenobergrenze hat die Stadt Wien rasch auf die aktuellen Entwicklungen reagiert und einen entscheidenden Impuls für den geförderten Wohnbau gesetzt.

 

GBV-aktuell: Wien wird laut Schätzungen in einigen Jahren die zwei Millionen Einwohner-Marke knacken. Dies bringt neben vielen Vorteilen für die Wirtschaft, Kultur oder den Tourismus auch viele Herausforderungen mit sich. Viele davon sind direkt oder indirekt mit dem Wohnbau in Verbindung zu setzen. Was macht die Stadt Wien aus ihrer Sicht hier besser als andere Metropolen in Europa?

Kathrin Gaál: Wien hat seine Wohnungen und den Wiener Wohnungsmarkt niemals zur Gänze dem Markt überlassen, sondern hat stets politische Weichenstellungen zum Wohl aller Menschen in unserer Stadt durchgeführt. Denn der Markt kennt nur das Interesse am Gewinn. Als Politikerin ist es aber meine Aufgabe, mich für eine möglichst hohe Wohnqualität für alle Wienerinnen und Wiener einzusetzen. Der Wiener Wohnbau ist außerdem eine enorme Förderung des Mittelstandes in unserer Stadt.

 

GBV-aktuell:  Was können die Gemeinnützigen leisten, damit das dynamische Bevölkerungswachstum allen Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt nützt?

Josef Ostermayer: Wir bündeln gemeinsam mit der Stadt Wien unsere Anstrengungen und werden in den kommenden Jahren rund 5.000 leistbare Wohnungen jährlich errichten, die vor allem in neuen Wohnquartieren liegen. Dabei wird auch die dazu gehörige soziale und technische Wohninfrastruktur wie Kindergärten, Parkanlagen, Straßen etc. miterrichtet, was einen Mehrwert auch für die Anrainerinnen und Anrainer bringen soll. Zusammen mit der Stadt Wien sorgen wir auch für sozial durchmischte Wohnquartiere.
Wir, die Gemeinnützigen, achten sehr stark auf eine ausgewogene Belegung unserer Wohnhausanlagen und kümmern uns auch nach der Übergabe um ein gutes nachbarschaftliches Miteinander. Wenn es um den sozialen Zusammenhalt, die Integration in unserer Stadt geht, spielt das eine große Rolle. Und selbstverständlich dürfen die indirekten Effekte nicht vergessen werden. Dadurch, dass das Wohnen bei uns Gemeinnützigen um rd. 30% günstiger ist, dämpft der gemeinnützige Wohnbau – mit immerhin einen Anteil von 20% am Wohnungsmarkt – das gesamte Mietpreisniveau.

 

GBV-aktuell: Neben dem „Babyboom“ und dem Zuzug aus dem Ausland ziehen auch immer Mehr Menschen aus den Bundesländern nach Wien. Auf was glauben Sie ist dies zurückzuführen?

Kathrin Gaál: Wien ist eine attraktive Weltstadt, die auf Menschen jedes Alters eine enorme Anziehungskraft ausübt. Sei es etwa durch das Bildungs- und Kulturangebot, die vielen beruflichen Möglichkeiten oder die hohe Wohn- und Lebensqualität. Wien ist einfach eine Stadt, die jedem großartige Möglichkeiten bietet. Das hat sich natürlich auch längst bis in die Bundesländer herumgesprochen.

 

GBV-aktuell: Stellen die Bauträger unterschiedliche Wünsche und Anforderungen der Bewohnerinnen und Bewohner im ländlichen Gebiet gegenüber der Stadt fest?

Josef Ostermayer: Ich möchte vorausschicken, dass die SOZIALBAU als Wiener Unternehmen ihren Wohnungsbestand vorrangig auch in Wien hat und als solche auch dort neue Wohnbauprojekte entwickelt. Grundsätzlich ist aber schon zu sehen, dass in den ländlicheren Regionen vermehrt Projekte wie betreutes bzw. betreubares Wohnen oder Wohnen für Jungfamilien entstehen. Das hängt sicherlich mit der demographischen Entwicklung und teilweise veränderten Wohnbedürfnissen zusammen. In Wien ist das weniger stark ausgeprägt. Hier geht es vor allem darum, bei den Wohnbauprojekten ein differenziertes Angebot an Wohnungsgrößen und -grundrissen zu leistbaren Konditionen zur Verfügung zu stellen. Damit tragen wir auch den demographischen Veränderungen und den verstärkten Anforderungen an die Leistbarkeit des Wohnraums verstärkt Rechnung.

 

GBV-aktuell: Wien hat mit dem Beschluss der Bauordnungsnovelle am 22. November eine neue Kategorie in der Flächenwidmung eingeführt. Sie nennt sich "geförderter Wohnbau" und löst die bisher geltende Kategorie "förderbarer Wohnbau" ab. Warum haben Sie sich zu diesem Schritt entschlossen?

Kathrin Gaál: Der Grund dafür ist ganz einfach: Wir setzen uns konsequent für leistbares Wohnen und damit für den geförderten Wohnbau ein. Die neue Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“  ist ein wichtiger Schritt, um Spekulation bei Grundstücksgeschäften einzudämmen und um noch mehr geförderte Wohnungen für unsere Stadt zu ermöglichen. 

 

GBV-aktuell: Welche Vorteile ergeben sich dadurch aus ihrer Sicht?

Josef Ostermayer: Ich bin optimistisch, dass mit der Widmungskategorie „geförderter Wohnbau“, die bei neuen Grundstückswidmungen eine strikte Preisobergrenze auf 2/3 der Fläche vorsieht, wieder mehr für den geförderten Wohnbau geeignete Grundstücke zur Verfügung stehen werden. Sie ist zweifellos ein wichtiger Schritt zur Unterstützung der Wiener Wohnbauoffensive und ich bin überzeugt, dass mit diesem Instrument auch die spekulativen Entwicklungen auf dem Grundstücksmarkt eingedämmt und mittelfristig damit eine Preisdämpfung am Wohnungsmarkt stattfinden wird. Insgesamt stellt die - gerade zum richtigen Zeitpunkt beschlossene und auch verfassungsrechtlich wohl überlegte - Widmungskategorie zweifellos eine Absicherung bzw. Stärkung des geförderten Wohnbaus dar, die auch dazu beiträgt, die so wichtige soziale Durchmischung in den Stadtteilen auch weiterhin gewährleisten zu können.


GBV-aktuell: Einer der  Besonderheiten der Wohnpolitik in Wien ist der soziale Wohnbau. Vor kurzem war zum wiederholten Male eine internationale Delegation in der Stadt um sich Anregungen zu holen. Welche Bedeutung haben die gemeinnützigen Bauträger im Erfolgsmodell der Stadt Wien für Sie?

Kathrin Gaál: Die gemeinnützigen Wohnbauträger sind für die Stadt ein ganz zentraler Faktor zur Herstellung von lebenswertem und leistbarem Wohnraum für alle Wienerinnen und Wiener. Damit haben sie großen Anteil am Erfolg des Wiener Modells, das unsere Stadt zu einem internationalen Vorbild gemacht hat.
GBV-aktuell: Wie steht es mit der Gemeinnützigkeit in anderen Ländern?

Josef Ostermayer: Wir haben uns erst vor Kurzem ein Bild über den Wohnungsbau und die Stadtentwicklung in Kopenhagen und Malmö gemacht – also zwei Städte in EU-Ländern, in denen dem gemeinnützigen Wohnungssektor traditionell eine bedeutsame Rolle zukommt.  In Kopenhagen ist der Stellenwert der gemeinnützigen Wohnbauträger bei der Entwicklung neuer Wohnquartiere leider sichtbar zurückgegangen. Das hat viel mit fehlenden Mechanismen gegen die hohen Grundstückspreise, aber auch veränderten wohnungspolitischen Rahmenbedingungen zu tun. In Schweden wurde die Wohnungsgemeinnützigkeit vor wenigen Jahren – nicht zuletzt aufgrund EU-rechtlicher Überlegungen - abgeschafft. Aber auch in den Niederlanden sehen sich die Woningcorporaties aufgrund einer politischen Entscheidung mit drastisch reduzierten Einkommensgrenzen bei der Wohnungsvergabe konfrontiert, was sich naheliegenderweise negativ auf die soziale Durchmischung auswirkt. Nur noch wenige EU-Länder können, wie Österreich bzw. Wien, auf ein starken und vor allem auch sehr aktiven gemeinnützigen Wohnungssektor zurückgreifen. 


GBV-aktuell: Eine der wichtigen Leistungen des sozialen und geförderten Wohnbaus war neben der Schaffung von leistbarem Wohnraum auch immer die soziale Durchmischung. Gibt es hier von den Wiener Gemeinnützigen besondere „best practice“-Beispiele, die die soziale Durchmischung fördern?

Josef Ostermayer: Die gibt es selbstverständlich. Etwa das interethnische Wohnmodell im „Globalen Hof“ in Wien-Liesing. Die Wohnhausanlage wurde Anfang der 2000er Jahre als Pilotprojekt errichtet, bei der der Frage nachgegangen werden sollte, inwieweit ein gedeihliches Zusammenleben aus einheimischen und zugewanderten Bewohnern durch integrative Prozesse mit einer sozial engagierten Hausverwaltung und gemeinschaftsfördernden baulichen Qualitäten angestoßen werden können. Eine Evaluierung hat gezeigt, dass das Konzept funktioniert und die Zufriedenheit der Bewohner eine hohe ist. Ein weiteres Vorzeige-Projekt ist der Wohnpark Alterlaa. Durch die beispielhaften architektonischen Ausführungsqualitäten  – Harry Glück setzte hier bekanntlich Maßstäbe - hohe Wohnqualität – Schwimmbäder am Dach, Freiflächen etc. – gibt es auch dort eine hohe Bewohnerzufriedenheit, was letztlich auch maßgeblich zur guten sozialen Durchmischung beiträgt – und das seit den 1970er Jahren. Aktuell lassen sich auf Ebene der Stadtteilentwicklung etwa das Nordbahnhofareal, das Sonnwendviertel oder die Seestadt Aspern anführen.


GBV-aktuell: Welche Vorteile sehen Sie als zuständige Wohnbaustadträtin bei der sozialen Durchmischung im sozialen Wohnbau?

Kathrin Gaál: Es war immer ein Erfolgsgeheimnis von Wien, dass es keine Stadt der zwei Geschwindigkeiten ist. Natürlich unterscheiden sich die einzelnen Grätzl und Bezirke voneinander. Aber sie sind alle auf ihre eigene Art und Weise ein attraktiver Teil unserer Stadt. In Wien kann man nicht an der Adresse erkennen, wie viel jemand verdient. Dass das so ist und dass es in Wien keine abgehängten Bezirke oder Stadtteile gibt, haben wir der sozialen Durchmischung zu verdanken. Fällt diese einmal weg, verliert damit ganz Wien einen Teil seines Charmes und Charakters.


GBV-aktuell: Vielen Dank für das Interview.