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Das System Gemeinnützigkeit im Vergleich mit Großbritannien

In den vergangenen Monaten reißt das internationale Interesse am sozialen Wohnbau in Österreich – insbesondere auch an der Wohnungsgemeinnützigkeit - nicht ab. Wir erleben das auch konkret im GBV Verbandsbüro, wo wir beinahe monatlich eine internationale Delegation empfangen, um das System der Gemeinnützigkeit zu erklären. Aufgrund der Wohnungskrise quer durch Europa (und in vielen Teilen der restlichen Welt) wird verzweifelt nach Ansätzen gesucht, wie man Wohnungsmärkte so steuern kann damit sie zu einer sozial und ökologisch nachhaltigen Wohnversorgung für die gesamte Bevölkerung führen und nicht nur hochpreisigen Wohnraum für kaufkräftige Einkommensgruppen zur Verfügung stellen. Um ein System besser zu verstehen, hilft oft ein Vergleich mit einem gegensätzlichen Modell. Der soziale Wohnbau in Großbritannien bietet hierfür ein gutes Beispiel.

Auf den ersten Blick gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen dem sozialen Wohnbau in Österreich und Großbritannien. In beiden Ländern gibt es sowohl Gemeinden und Gemeinnützige (housing associations in Großbritannien) als Anbieter von sozialem Wohnraum, vor allem in Form von Mietwohnungen. In Großbritannien und Österreich mieten rund 7% der Haushalte von Gemeinden. Darüber hinaus wohnen in Großbritannien 10% und in Österreich 17% in gemeinnützigen Wohnungen. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass in beiden Ländern der Neubau in erster Linie von gemeinnützigen Bauvereinigungen betrieben wird. Somit liegen beide Länder unter den Top 5 was den Anteil an sozial gebundenem Wohnraum am gesamten Wohnungsmarkt in der EU betrifft.

Integrierte vs. Duale Wohnungsmärkte oder „housing for all“ vs. „housing for the poor“

Beim genaueren Hinsehen ergeben sich jedoch recht deutliche Unterschiede in den beiden Systemen. Während die gegenwärtige Ausrichtung des sozialen Wohnbaus in Großbritannien vor allem auf untere Einkommen und sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen abzielt, steht in Österreich weiterhin die Wohnversorgung von unteren und mittleren Einkommen im Vordergrund.

Das Thema der Einkommenssituation von Bewohnerinnen und Bewohnern im sozialen Wohnbau ist auch in Österreich immer wieder Teil öffentlicher medialer Debatten. Dabei greifen diese Debatten oft zu kurz und vergessen, dass es dabei um ein grundsätzlicheres Verständnis geht wie Wohnungsmärkte überhaupt funktionieren. Der Wohnforscher Jim Kemeny hat dies bereits 1995  mit der Gegenüberstellung von integrierten und dualen Wohnungsmärkten charakterisiert. In dualen Wohnungsmärkten wie etwa in Großbritannien wird davon ausgegangen, dass Wohnen ein Gut wie jedes andere ist, dass am besten über den privaten (deregulierten) Markt organisiert wird und nur jene Zugang zu sozial gebundenem Wohnraum haben sollen die „vom Markt ausgeschlossen sind“. Typisch für einen dualen Wohnungsmarkt ist eine starke Eigentumsförderung sowie ein kleiner sozialer Mietwohnsektor, der sich hinsichtlich seiner Zielgruppe und der Qualität deutlich vom Privatsektor unterscheidet.

In einem integrierten Wohnungsmarkt wie er in Österreich im Moment vor allem über den gemeinnützigen Wohnbausektor gegeben ist, geht es hingegen eher um eine Steuerung des Wohnungsmarktes insgesamt. Anders ausgedrückt, gemeinnützige Bauvereinigungen sind „Marktteilnehmer“ und beschränken sich nicht darauf, Marktversagen zu korrigieren. Dies zeigt sich sowohl hinsichtlich des Anteils an der Gesamtneubauproduktion (zwischen 25 und 30%) als auch hinsichtlich des Wohnungsangebots, das sich an eine relativ breite Bevölkerung und an unterschiedliche soziale Gruppen richtet. Der soziale Wohnbausektor hat somit auch eine dämpfende Wirkung auf den privaten Wohnungsmarkt (siehe Beitrag). Darüber hinaus zeigen sich aber auch einige andere Effekte dieser unterschiedlichen Modelle, insbesondere was die Einstellungen zum sozialen Wohnbau betrifft.

Was bedeutet das für die Akzeptanz und Einstellungen zum sozialen Wohnbau?
Im Vergleich zeigt sich, dass sich die unterschiedliche Ausrichtung des sozialen Wohnbaus nicht nur in der Sozialstruktur der Bewohnerinnen und Bewohner niederschlägt, sondern auch in Einstellungen und der Akzeptanz in der Bevölkerung. Generell kann man beobachten, dass es in Europa einen Zusammenhang zwischen dem Anteil des sozialen Wohnungsbestandes und dessen Wahrnehmung gibt: je höher der Anteil desto positiver die Wahrnehmung.3 Der soziale Wohnbau in Österreich nimmt nach dieser Fragestellung die Spitzenposition in Europa ein.

Beim Vergleich von Österreich und Großbritannien – beides Länder mit einem beträchtlichen sozialen Wohnungsbestand – wird jedoch ein wichtiger weiterer Faktor erkennbar. In Großbritannien gibt es eine große Kluft in den Einstellungen zwischen sozialen Mieterinnen und Mietern und Bewohnerinnen und Bewohnern von anderen Rechtsformen einerseits (erstere mit einer merkbar positiveren Einstellung zum sozialen Wohnbau) und zwischen Einkommensgruppen andererseits (höhere Einkommensgruppen haben eine negativere Einstellung zum sozialen Wohnbau). Nicht so in Österreich: Die Akzeptanz und die Wertschätzung des sozialen Wohnbausektors werden hier von der gesamten Gesellschaft getragen und eben nicht nur von denen, die darin wohnen (siehe Beitrag). Der soziale Wohnbau in Österreich genießt bis ins oberste Einkommensquartil eine durchwegs positive Stellung.

Sozialer Wohnbau und Stigma
Einstellungen zur Qualität des sozialen Wohnbaus haben aber auch ganz unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensrealität von Bewohnerinnen und Bewohnern des sozialen Wohnbaus. Auch hier zeigen sich große Unterschiede zwischen Österreich und Großbritannien. Trotz relativ hoher Wohnzufriedenheit der Bewohnerinnen und Bewohner ist sozialer Wohnbau in Großbritannien – oft verstärkt durch medial Berichterstattung – stigmatisiert, was sich in weiterer Folge auf die Selbstwahrnehmung bzw. die mentale Gesundheit der Personen auswirken kann. Eine statistische Analyse des EQLS4 zeigt, dass sich in Großbritannien Personen die von Gemeinden (local authorities) oder Gemeinnützigen (housing associations) mieten überproportional oft von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen bzw. das Gefühl haben, dass der Rest der Bevölkerung auf diese „herabschaut“, unabhängig von der Einkommenssituation . In Österreich hingegen spielt zwar das Einkommen eine wichtige Rolle hinsichtlich dieser Einstellungen, aber es gibt keine signifikanten Abweichungen in den unterschiedlichen Rechtsformen. Mieterin oder Mieter im sozialen Wohnbau zu sein wirkt demnach nicht stigmatisierend.

Fazit:
Die hohe Stellung des sozialen Wohnbaus und vor allem der Wohnungsgemeinnützigkeit in Österreich wird oft als selbstverständlich hingenommen. Im Vergleich zeigt sich jedoch, dass die breite gesellschaftliche (und politische) Akzeptanz keineswegs der Normalfall ist. Stigmatisierung und soziale Segregation aufgrund mangelnder Durchmischung führen in vielen Ländern zu gesellschaftlicher Spaltung. Ein qualitätsvoller, selbstbewusster und positiv wahrgenommener gemeinnütziger Wohnbausektor kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten diesen Entwicklungen entgegenzuwirken.

von Gerald Koessl

1 Die Ausrichtung auf untere Einkommensschichten insbesondere in England ist vor allem seit den 1980er Jahren forciert worden. Während 1980 noch fast ein Drittel des Wohnungsmarktes sozial gebunden war, gingen mit dem billigen Verkauf im Rahmen des „right-to-buy“ vor allem die qualitativ hochwertigen Wohnungen in Privateigentum über. Der schrumpfende soziale Wohnungsbestand wurde dann verstärkt auf untere Einkommensgruppen ausgerichtet.
2 Jim Kemeny (1995): From Public Housing to the Social Market. Routledge.
3 Eine statistische Analyse zeigt, dass zirka ein Drittel der Varianz dadurch erklärt werden kann (R-Squared=0,337, p-value=0.0018)
4 EQLS=European Quality of Life Survey (2016)
5 Obwohl beide Variablen (Var 1:„I feel left out of society“, Var 2:„People look down on me“) generell eine starke Ausprägung nach Einkommen aufweisen, zeigt sich ein signifikantes Ergebnis auch nachdem man den Faktor Einkommen kontrolliert.