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COVID-19 und die Baustellen

Unter dem Begriff "höhere Gewalt" sind unerwartete und unabwendbare äußere Umstände zu verstehen, die eine Vertragspartei daran hindern, ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Ob ein Fall höherer Gewalt vorliegt und wer bei den sonstigen Rechtsfolgen das Risiko dafür trägt, kann nur anhand des jeweiligen Einzelfalls und erst nach einem Blick in den Vertragstext (Bauvertrag) beantwortet werden. 

Finden sich im Vertrag keine Klauseln zur "höheren Gewalt" und "Gefahrtragung", dann trägt nach § 1168 ABGB für sämtliche Umstände, die nicht auf Seiten des Bestellers (Bauherrn) liegen, sohin auch für neutrale Umstände (COVID-19) das Bauunternehmen das Risiko. Dies würde dazu führen, dass dem Bauunternehmen keine Mehrkosten und Leistungsverlängerungen zustehen und der Vertrag bei den sonstigen Verzugsfolgen weiter zu erfüllen ist. 

Sofern im Bauvertrag jedoch die Anwendbarkeit der ÖNORM B 2110 vertraglich vereinbart wurde, sind Leistungshindernisse dann der Sphäre des Bauherrn zuzuordnen, wenn sie entweder die vertragsgemäße Ausführung der Leistungen objektiv unmöglich machen oder zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren und vom Bauunternehmen nicht in zumutbarer Weise abwendbar sind. Das bedeutet in diesem Fall, dass das Risiko für einen Fall von "höherer Gewalt" der Bauherr trägt. 

Ob Covid-19 und die damit verbundenen öffentlichen Einschränkungen für ein Bauunternehmen als unabwendbares und leistungshinderndes Ereignis einzustufen ist, das allenfalls zu Mehrforderungen und Erstreckung der Fertigstellungsfristen bzw. Übergabefristen gegenüber dem Bauherrn berechtigt, muss im Einzelfall geprüft werden. 

Sollte ein Bauunternehmen aufgrund COVID-19 behördlich nicht mehr dazu befugt sein, die Baustelle zu betreten, so wäre wohl ein Fall von höherer Gewalt anzunehmen. Selbiges gilt naturgemäß auch für gesetzliche Betretungsverbote. 

Gemäß § 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, welches Betretungsverbote vorsieht, ist der Aufenthalt im öffentlichen Raum untersagt. Von diesem Verbot ausgenommen sind Wegstrecken, die für berufliche Zwecke erforderlich sind und wenn sichergestellt ist, dass am Ort der beruflichen Tätigkeit zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann. Ist dies nicht der Fall, könnte ein Bauunternehmen damit argumentieren, dass ein Fall "höherer Gewalt" vorliegt und die Leistung nicht erbracht werden kann, andernfalls wäre eine Leistungseinstellung nicht gerechtfertigt. 

Ob die Argumentation rechtlich vertretbar ist oder nicht, hängt von der konkreten Art der Arbeiten und den konkreten Umständen ab (Baufortschritt, Baukoordination, etc.). Ein Bauunternehmen hat nach der Ö-Norm B 2110 jedenfalls alles Zumutbare aufzuwenden, um eine solche Störung der Leistungserbringung zu vermeiden bzw. deren Folgen soweit als möglich abzuwehren, sofern daraus keine Mehrkosten entstehen. 

Kommt es dennoch zu einer Baueinstellung, würde sich bei Bauträgerprojekten wiederum der Bauträger gegenüber den Käufern im Leistungsverzug befinden, sofern für diesen Fall im Bauträger- oder Kaufvertrag keine anderslautenden Regelungen getroffen wurden.

Nachdem es bei einer Leistungsstörung bzw. einer Leistungsbehinderung zur Ausübung von Rücktrittsrechten (Verzug, besonderes Rücktrittsrecht nach ÖNORM B2110), Ansprüchen von Mehrkosten oder sogar Schadenersatzansprüchen kommen könnte, empfehlen wir folgende Vorgehensweise: 

(i) Beantwortung von Einstellungsschreiben, insbesondere bei Anmeldung von Mehrkostenforderungen;

(ii) Prüfung der zugrundliegenden Verträge samt Rechtsfolgeneinschätzung durch Rechtsexperten;

(iii) Bei jedem eingestellten Bauvorhaben individuell zu dokumentieren, welche Arbeiten als nächstes durchzuführen gewesen wären;

(iv) Kontaktaufnahme mit den Bauunternehmen und (wenn möglich) Abschluss vertraglicher Vereinbarung zum Umgang mit der Bauverzögerung; künftiger Abschluss von Covid-19 Klauseln

RA Roland Weinrauch ist Anwalt bei der Rechtsanwaltskanzlei Weinrauch Rechtsanwälte GmbH www.anwaltei.at