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Wohnungsgenossenschaften und ihr sozialer Beitrag innerhalb der Wohnungswirtschaft

In Österreich erbringen bereits etwa 1.800 Genossenschaften erfolgreich ihre Leistungen für über drei Millionen Mitglieder und noch mehr Kunden, zum Beispiel im Bereich von Dienstleistungen, Handel und Gewerbe, Kredit-, Land- und Wohnungswirtschaft. Dem von einer Genossenschaft zur Verfügung gestellten Wohnraum kommt als Teil der Daseinsvorsorge dabei eine ganz besondere Bedeutung zu.

Die eigenen „vier Wände“

Genossenschaftswohnung ist – neben Gemeindewohnung – nicht nur in Wien ein feststehender Begriff. Damit wird eine Wohnung beschrieben, die von einer der 185 gemeinnützigen Bauvereinigungen (GBV) (Ende 2019) bereitgestellt wird. Daraus wird zuweilen geschlossen, dass alle GBV Wohnungs(bau)genossenschaften seien, was nicht ganz zutrifft. Denn es gibt 98 GBV in der Rechtsform einer Genossenschaft, während die Übrigen als Kapitalgesellschaften (Ges.m.b.H. oder AG) gestaltet sind. Alle GBV verbindet als übergeordnetes Prinzip die in einem eigenen Gesetz geregelte Wohnungsgemeinnützigkeit. Aus dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG) ergibt sich auch die Zugehörigkeit zu ihrem Verband. Der Österreichische Verband Gemeinnütziger Bauvereinigungen – Revisionsverband fungiert als „Dachorganisation“. Zu seinen Aufgaben gehören die genossenschaftliche Revision seiner Mitglieder und die Interessensvertretung – zum Beispiel innerhalb von Gesetzgebungsprozessen.

Das WGG hat seinen Ursprung in rechtlichen Regelungen, die in Deutschland verfasst wurden. Entgegen der dortigen Entscheidung, die Wohnungsgemeinnützigkeit nach 1989 aufzulassen, besteht das WGG in Österreich fort und wird regelmäßig entsprechend den Anforderungen der Zeit modernisiert.

Wohnungsgemeinnützigkeit als übergeordneter Rahmen

Aus dem WGG ergeben sich die Kennzeichen und die zulässige Geschäftstätigkeit: Das Nutzungsentgelt (Mietzins) hat den Kosten aus der Herstellung und Bewirtschaftung der Wohnhäuser zu entsprechen, wobei auch Ertragskomponenten einfließen, die aber durch Gesetz und Verordnungen festgelegt und der Höhe nach begrenzt sind (Kostendeckungsprinzip und Gewinnbeschränkung, § 13 Abs. 1 WGG). Die Ausschüttung eines Gewinns ist auf einen Höchstsatz von fünf Prozent beschränkt (§ 10 Abs. 1 i.Vb.m. § 14 Abs. 1 Ziff. 3 WGG). Das Eigenkapital ist für Grundstücksversorgung, Neubau und Sanierung von Wohnungen einzusetzen, es unterliegt einer Zweckbindung, indem das zugehörige Vermögen der Erfüllung dem Gemeinwohl dienender Aufgaben des Wohnungs- und Siedlungswesens zu dienen hat und dauerhaft für gemeinnützige Zwecke gebunden ist (§ 1 Abs. 2 und 3 WGG).

Der mit der Wohnungsgemeinnützigkeit verbundene Beitrag zu „leistbarem Wohnen“ kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen in Österreich, auch als „die Gemeinnützigen“ bezeichnet, sind dafür steuerlich begünstigt, dass sie Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge erbringen. Sie leisten einen Beitrag zum sozialen Frieden trotz sozialer Unterschiede und verringern soziale Ungleichheit. Ihre Tätigkeit umfasst nicht nur die zusätzlich mit staatlichen Mitteln (Wohnbauförderung) finanzierte Errichtung, den Erhalt und die Sanierung von Mietwohnungen, sondern auch von frei finanzierten Mietwohnungen, von Mietwohnungen mit Kaufoption bzw. auch von Wohneigentum, das dann sehr oft von der errichtenden GBV weiter verwaltet wird.

„Leistbares Wohnen“ ist auf Dauer angelegt.

In Österreich werden 42,8% der über 3,95 Mio. Hauptwohnsitzwohnungen in Miete bewohnt (Ende 2019, Statistik Austria). In Wien liegt dieser Anteil sogar bei über 75%. Die rund 1,64 Mio. Hauptmietwohnungen teilen sich auf in Gemeindewohnungen (16,6%), Genossenschaftswohnungen (39,7%) und andere Hauptmieten (43,7%).

Gemessen an der durchschnittlichen Miete pro Quadratmeter (qm) liegen Genossenschaftswohnungen mit 5,20 Euro (ohne Betriebskosten) zwischen Gemeindewohnungen (4,50 Euro) und anderen Hauptmietverhältnissen (7,20 Euro). Bei den Betriebskosten sind die GBV sogar am günstigsten, mit nur 1,90 Euro/qm.

In Deutschland kam es in der Folge der Aufhebung ihrer Gemeinnützigkeit gerade bei den kapitalgesellschaftlich verfassten Wohnungsunternehmen zu Privatisierungen, Börsengängen und zunehmendem Wettbewerb und einer weitergehenden Konzentration. Die Interessen der neuen Eigentümer haben sich teilweise so weit von den Bedürfnissen der Mieterinnen und Mieter der Wohnungen entfernt, dass eine Verstaatlichung im Raume stand und Mietpreisobergrenzen eingeführt worden sind, wenn man nur auf Entwicklungen in Berlin schaut.

Genossenschaften fördern ihre Mitglieder.

Eine Besonderheit der genossenschaftlichen GBV besteht in der Mitgliedschaft. Mitglieder und damit Eigentümer dieser GBV sind fast 528.400 Personen (Ende 2019). Bei den 87 Kapitalgesellschaften weist der bzw. weisen die Eigentümer sehr oft eine Nähe zur Gemeinnützigkeit auf bzw. sehen es als ihren gesellschaftspolitischen Beitrag an, ein Unternehmen (mit) zu tragen, dessen Hauptziel nicht in der Gewinnmaximierung besteht, sondern das einen sozialen Beitrag zur Daseinsvorsorge leistet. So überrascht es nicht, dass etwa 20 GBV im Eigentum von Gebietskörperschaften stehen und an weiteren 12 GBV Kirchen, Gewerkschaften bzw. Kammern maßgeblich beteiligt sind.

In den GBV in der Rechtsform einer Genossenschaft werden üblicherweise Nutzerinnen und Nutzer einer Wohnung Mitglieder und damit Eigentümer. Damit sind vor allem Mitbestimmungsrechte verbunden, die dazu beitragen, das genossenschaftliche Eigentum und seinen sozial ausgleichenden Beitrag von einer Generation für die folgende Generation zu erhalten und zu entwickeln.

Innerhalb einer immer mehr vom Markt und Wettbewerb geprägten Wirtschaftsweise schaffen nicht nur die genossenschaftlichen, sondern alle GBV in der Gegenwart und für die Zukunft sozial ausgewogene Bedingungen bei der Versorgung mit Wohnraum. Ihr Wirtschaftsmodell darf als beispielhaft und in höchstem Maße als förderungswürdig gelten.

Autor: Holger Blisse ist Wirtschafts- und Sozialanalytiker und unter anderem auf kredit- und wohnungswirtschaftliche, genossenschaftliche und sozialpolitische Themen spezialisiert.

ACHTUNG: Der geplante Tag der Genossenschaften am 20. Oktober 2020 am Campus der WU Wien findet auf Grund von COVID-19 dieses Jahr leider nicht statt. Ein neuer Termin für 2021 wird gesucht.