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Wohnbau in Not

Ein offnener Brief des Verbandes der gemeinnützigen Bauvereinigungen Österreichs an:

1.    die österreichische Bundesregierung
zu Handen Herrn Bundeskanzler Karl Nehammer

2.    Landesregierung Wien
zu Handen Herrn Landeshauptmann Dr. Michael Ludwig

3.    Landesregierung Niederösterreich
zu Handen Frau Landeshauptfrau Mag. Johanna Mikl-Leitner

4.    Landesregierung Oberösterreich
zu Handen Herrn Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer

5.    Landesregierung Steiermark
zu Handen Herrn Landeshauptmann Mag. Christopher Drexler

6.    Landesregierung Kärnten
zu Handen Herrn Landeshauptmann Dr. Peter Kaiser

7.    Landesregierung Burgenland
zu Handen Herrn Landeshauptmann Mag. Hans Peter Doskozil

8.    Landesregierung Salzburg
zu Handen Herrn Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer
    
9.    Landesregierung Tirol
zu Handen Herrn Landeshauptmann Anton Mattle

10.    Landesregierung Vorarlberg
zu Handen Herrn Landeshauptmann Mag. Markus Wallner

11.    Österreichischer Gemeindebund

12.    Österreichischer Städtebund

WOHNBAU IN NOT

Die österreichische Baubranche steht. Stark gestiegene Immobilienpreise, hohe Baupreise und steigende Kapitalmarktzinsen bringen die Immobilien- und Bauwirtschaft zum Erliegen. Der stagnierende Wohnbau ist ein Problem für den Wohnungsbedarf der wachsenden österreichischen Bevölkerung, führt zu einer existenziellen Krise der österreichischen Bauwirtschaft, stellt eine große Bedrohung für den österreichischen Arbeitsmarkt mit seinen mehr als 300.000 Beschäftigten in der Bauwirtschaft dar, und ist somit eine der größten Herausforderungen für die Politik.


Die gemeinnützigen Bauvereinigungen Österreichs können ein wesentlicher Hebel der Problembewältigung sein, allerdings bedarf es dafür dringend entsprechender Maßnahmen und massiver Veränderungen der Voraussetzungen.


Gemeinnützige Bauvereinigungen sichern mit ihrer weitgehend kontinuierlichen Wohnbauleistung nicht nur das Angebot an leistbaren Wohnungen, sie sorgen auch für eine Grundauslastung der österreichischen Bauwirtschaft und wirken konjunkturstabilisierend. Eine Investitionsoffensive in den geförderten Wohnbau hat also nicht nur eine kontrazyklische, sondern auch eine arbeitsplatzsichernde Wirkung und positive Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte, die weit über den Bausektor hinausgehen. Die Gemeinnützigen können ein starker Partner der Politik, ein zuverlässiger Auftraggeber der Bauwirtschaft, ein sicherer Partner der Banken und ein maßgeblicher Garant des Wohlstandes und der Zufriedenheit der österreichischen Bevölkerung sein. Bund und Länder sind dringend gefordert, in folgenden Problemfeldern Maßnahmen zu setzen:

 

  • Massive Anhebung der Wohnbauförderung
    Die österreichische Wohnbauförderung, die mit vergleichsweise niedrigen Staatsausgaben einen hohen Output und volkswirtschaftlichen Mehrwert erzielt, ist erodiert. Während die Wohnbauförderungsausgaben der öffentlichen Hand noch nach der Jahrtausendwende bei jährlich bis zu 3 Milliarden Euro (und somit rd. 1,4 % des Bruttoinlandsprodukts) lagen, ist die Wohnbauförderung 2022 bereits auf unter 1,9 Milliarden Euro und somit auf rund 0,4 % des Bruttoinlandsproduktes gefallen. 2022 machten die Rückflüsse aus früheren Wohnbauförderdarlehen 1,42 Milliarden Euro aus, die Einnahmen aus den Wohnbauförderungsbeiträgen weitere 1,30 Milliarden, in Summe sohin 2,72 Milliarden. Dies steht in einem Ungleichverhältnis zu den 2022 von den Ländern in Summe verausgabten Wohnbauförderungsmitteln in der Höhe von 1,9 Milliarden Euro. Weder die Wohnbauförderungsbeiträge noch die Rückflüsse aus den Wohnbauförderungsdarlehen sind jedoch zweckgebunden. Die Zeiten günstiger Kapitalmarktzinsen sind vorbei, nunmehr muss die öffentliche Hand die gemeinnützigen Wohnbauträger wieder in die Lage versetzen, zinsgünstige Wohnbaufördermittel vermehrt an Stelle hochverzinster Kapitalmarktdarlehen in Anspruch nehmen zu können. Es bedarf daher der
  • Wiedereinführung der Zweckbindung der Wohnbauförderungsbeiträge und der Darlehensrückflüsse und als Sofortmaßnahme eine
  • zweckgebundene Wohnbaumilliarde aus dem Bundesbudget für Neubau von leistbarem Wohnraum.
    Der Bund ist darüber hinaus gefordert durch entsprechende
  • Garantieerklärungen des Bundes für die Kapitalmarktdarlehen der gemeinnützigen Bauvereinigungen
    die Zinskonditionen noch weiter zu verbessern. Das wirtschaftliche Risiko des Bundes geht dabei gegen Null. In den 75 Jahren seit Bestehen des Verbands der gemeinnützigen Bauvereinigungen ist noch kein Kapitalmarktdarlehen einer gemeinnützigen Bauvereinigung notleidend geworden.

    Neubauten sollen ab 2028 emissionsfrei sein, bei Bestandsgebäuden soll der Energieverbrauch im Sinne des Klimaschutzes Schritt für Schritt gesenkt werden. Es liegt daher auf der Hand, dass der hohe Förderbedarf zur Umsetzung der Dekarbonisierungs-Erfordernisse in allen österreichischen Gebäuden nicht Aufgabe der Wohnbauförderungen der Länder sein kann. Es braucht daher unabhängig von der Wohnbauförderung eine 
  • neue Förderschiene des Bundes für die Dekarbonisierung die ohne lokale und regionale Differenzierung den privaten, gewerblichen und gemeinnützigen Eigentümern die Erreichung der eminent wichtigen Zielsetzungen des Klimaschutzes ermöglicht und damit die Wohnbauförderung der Länder maßgeblich entlastet. Die öffentliche Hand muss Mittel für den gesamten Immobilienbestand bereitstellen, sodass Finanzierungen in jenem Umfang möglich sind, um die Vorgaben der europäischen Union auch erfüllen zu können.

    Die Baupreissteigerung der letzten Jahre war rasant und es zeichnet sich kein Rückgang, sondern eine Stabilisierung auf hohem Niveau ab. 2022 ist z. B. der Baukostenindex für die Baufirmen im Schnitt um 10,1 % gestiegen, während der Baupreisindex für die Bauherren um 15 % gestiegen ist. Um ein dauerhaftes Ungleichgewicht zu verhindern, fordern wir eine
  • wettbewerbsrechtliche Kontrolle der Baupreise und Baustoffpreis durch den Bund.
     
  • Weitere rechtliche Maßnahmen
    Auch die Einrichtung eines entsprechend dotierten Bundesfördertopfes mit einem für das ganze Bundesgebiet einheitlichen Förderungsregime für Bestandssanierung und Energieumstieg und eine Klärung der Kostenaufteilung zwischen öffentlicher Hand, Eigentümern und Mietern wird zur Umsetzung der EU-Vorgaben bis 2050 voraussichtlich nicht ausreichen. Es bedarf daher entsprechender 
  • wohnzivilrechtlicher Maßnahmen
    insbesondere in den Rechtsbereichen des Mietrechtsgesetzes und des Wohnungseigentumsgesetzes.

    Länder und Gemeinden müssen die wichtigen Instrumente der
  • Raumordnung
    intensiver nutzen, um Grundstücke für den leistbaren Wohnbau verfügbar zu machen. Flächenwidmungen für "geförderten Wohnbau", zeitlich befristete Baubewilligungen bis hin zur Nutzung des bereits existierenden Bodenbeschaffungsgesetzes müssen angewandt und neue, zielführende Regime definiert werden. Die Bewilligungsverfahren vor allem für insbesondere größere Bauvorhaben sind kompetenzrechtlich insbesondere bei den Themen Baubewilligung – Flächenwidmung – Naturschutzverfahren – Umweltverträglichkeit kompetenzrechtlich zersplittert. Im Bereich Raumordnung soll die
  • strategische Umweltprüfung im Hinblick auf Umwelt- und Naturschutz schon im Flächenwidmungsverfahren
    integriert werden, damit in den nachfolgenden Verfahren die notwendige Rechtssicherheit gegeben ist.

    Die gemeinnützigen Bauvereinigungen befürworten die Reglementierung und Optimierung des Bodenverbrauchs, die aber gleichzeitig mit einer Stärkung des mehrgeschossigen Wohnungsbaus einhergehen muss. Die
  • Stärkung des mehrgeschossigen (geförderten) Wohnbaus
    in (noch zu erlassenden) Materiengesetzen ist eine wesentliche Maßnahme zur Hintanhaltung der Zersiedelung insbesondere ländlicher oder suburbaner Gebiete. Die Schaffung von ökologisch hochwertigem und nachhaltigem Wohnraum ist ein maßgeblicher Beitrag zur Energiewende, weshalb
  • geförderter Wohnbau als Vorhaben der Energiewende einzustufen ist.
    So könnten auch umweltverträglichkeitsprüfungs-relevante Städtebauvorhaben schneller umgesetzt und die Kosten der Energiewende im Wohnungsbestand minimiert werden.

    Von der Möglichkeit, die
  • aufschiebende Wirkung von Bescheiden im Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren auszuschließen,
    wird in verwaltungsgerichtlichen Verfahren regelmäßig kein Gebrauch gemacht. So können auch Einwendungen, die lediglich verhältnismäßig geringfügige Rechtswidrigkeiten behaupten, die grundsätzliche Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens erschüttern und deren zeitliche Umsetzung bis in die Unfinanzierbarkeit treiben. Die Regelung des Umweltverträglichkeitsprüfungs-gesetzes, wonach die Behörde die aufschiebende Wirkung von genehmigenden Bescheiden unter bestimmten Voraussetzungen auszuschließen hat, sollte daher aus der derzeitigen "Kann-Bestimmung" in eine "Muss-Bestimmung" umgewandelt werden. Dafür sind die Bezug habenden Bestimmungen des UVP-Gesetzes in das AVG zu übernehmen.

    Im Bereich des Beschwerdeverfahrensrechtes auf Bundesebene wird die
  • Gleichschaltung der einschlägigen Verfahrensvorschriften des VwGVG mit den Bestimmungen des UVP-Gesetzes
    angeregt. Um eine ausgewogenere Verhältnismäßigkeit zwischen potenzieller Rechtswidrigkeit des bekämpften baubehördlichen Bescheides und den finanziellen Nachteilen eines jahrelangen Stillstands bzw. Baustopps zu erreichen, sollte die Möglichkeit zur Auferlegung von Ausgleichszahlungen zugunsten des beeinträchtigten Beschwerdeführers geschaffen werden. Im geförderten Wohnbau sollte rechtlich ausdrücklich ein öffentliches Interesse im Sinne der gebotenen Interessensabwägung vor Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zugestanden werden.

Die 182 gemeinnützigen Bauvereinigungen Österreichs sind Unternehmen, die Wohnungen für breite Kreise der Bevölkerung zur Verfügung stellen. Sie tun dies nicht in gewinnmaximierender, sondern in gemeinwohlorientierter Weise. Ihre Geschäftstätigkeit ist durch das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz und deren Verordnungen reguliert. Sie verwalten derzeit rund 985.000 Wohnungen, davon rund 653.000 eigene Miet- und Genossenschaftswohnungen.
Das internationale Erfolgsmodell der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft bringt Mieterinnen und Mietern gemäß Statistik Austria (Mikrozensus 2022) eine Durchschnittsmiete von 7,70 Euro brutto, diese liegt damit um 25 % unter der gewerblichen Brutto-Durchschnittsmiete von 10,20 Euro. Im Neubau ist der Mietvorteil sogar noch höher. Das System der Wohnungsgemeinnützigkeit bedeutet für deren Mieter eine jährliche Ersparnis von 1,2 Milliarden Euro, auch die unregulierten Mieten sind aufgrund des Wettbewerbs um durchschnittlich rund 5 % günstiger, als dies ohne GBVs der Fall wäre.
In Zeiten stagnierender gewerblicher Bautätigkeit und steigender Darlehenszinsen könnten Wohnungsgemeinnützigkeit und Wohnbauförderung bei Erfüllung unseres Forderungspapiers ihre Stärken ausspielen und wäre das jahrzehntelang etablierte Zusammenspiel zwischen den Systemen Wohnbauförderung und Wohnungsgemein-nützigkeit der ideale Hebel, um der anhaltenden Rezession entgegenzuwirken. Die richtigen Rahmenbedingungen sind entscheidend für die Fortsetzung des österreichischen
wohnungs-, wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Erfolgsmodells.

 

Dr. Klaus Baringer                                DI Herwig Pernsteiner
Verbandsobmann                                Verbandsobmann-Stellvertreter